Außerdem: Interview mit Facebooks Deutschland-Chef Tino Krause

21.07.2020
Guten Tag ,
Twitter muss sich dem größten Hacker-Angriff in seiner Geschichte stellen: Unbekannte haben die Konten von Barack Obama (120 Millionen Follower!), Joe Biden, Amazon-Gründer Jeff Bezos oder Elon Musk geknackt und Inhalte veröffentlicht. Der Fall ist auch für Sie und Ihr Unternehmen relevant, selbst wenn Sie keinen Twitter-Account haben. Warum, das erfahren Sie in diesem Tech Briefing.

Doch zunächst schauen wir auf eine App der Rekorde: TikTok ist seit einigen Monaten das schnellst wachsende soziale Netzwerk. Teenager feiern die App aus China, Politiker und Datenschützer haben große Bedenken. Was steckt dahinter?

1. Wie berechtigt ist die Kritik an TikTok?
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Intro: Diese App macht süchtig. Eltern, die ihre Teenager genau beobachten, können das bestätigen. Einige Experten sprechen sogar von einer digitalen Droge. Einige Eltern lassen ihre Jugendlichen die App aus anderen Gründen löschen. Sie hören auf Berichte, TikTok sei in Wirklichkeit eine riesige Überwachungs-App, die Daten der Nutzer direkt an die chinesische Regierung spielt. Ist das berechtigt?

Warum TikTok relevant ist: Im Mai ist die App über zwei Milliarden Mal heruntergeladen worden. 2020 gibt es weltweit keine andere App, für die sich mehr Nutzer entschieden haben. In Deutschland macht zur Zeit nur die Corona-Warn-App Konkurrenz in den Download-Charts.

Auch wenn die App auf Schulhöfen ein riesiges Thema ist, steht der richtige Nutzerboom in Deutschland noch bevor: Jede zweite Person kennt laut YouGov TikTok, aber nur ein kleiner Prozentsatz hat sie bereits installiert. Im Vergleich zu anderen Apps ist die Zahl der Nutzer noch gering. In wenigen Monaten wird sich dieses Bild dramatisch verschieben. TikTok ist bereit in die erste Reihe der meistgenutzten Apps zu klettern.
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Wie TikTok funktioniert: Teenager sind süchtig nach den kurzen Videoclips. Zu sehen gibt es Musik, Karaoke, Comedy, Sport, Mode und geballte Jugendkultur. Der besondere Unterschied zu anderen Apps: TikTok zeigt ein Video nach dem anderen, ohne dass die Nutzer zunächst Personen folgen müssen. TikTok definiert sich nicht über die Freunde denen man folgt, sondern über die Inhalte die man mag.

Künstliche Intelligenz (Machine Learning) hilft den Algorithmen von TikTok zu verstehen, was in den Videos passiert. Öffnen Nutzer die App, geraten sie in ein Möbiusband an Videos. Schauen sie einen Clip zu Ende oder interagieren damit, versucht die App Videos mit ähnlichen Themen oder Personen zu zeigen. Brechen die Nutzer ein Video ab und gehen zum nächsten, analysiert TikTok den Grund und vermeidet ähnliche Videos.

Auch klassische Massenmedien haben schon immer versucht Ausschalt-Impulse in ihren Fernseh- und Radioprogrammen zu eliminieren. Der Unterschied: Sie mussten mit ihren Inhalten einen gemeinsamen Nenner der gesamten Nutzerschaft finden. TikTok kann jedem einzelnen Nutzer ein individuell angepasstes Programm bieten.

Welcher Kritik sich TikTok stellen muss: Schon früh gab es Kritiker, die sich um den Jugendschutz sorgen: Leicht bekleidete und gut geschminkte Teenager, die sich mit ihren Handys filmen, Mobbing, Körperscham und der Umgang mit plötzlicher Popularität gehören zum Alltag der Plattform.

Die App gehört zum chinesischen Konzern Byte Dance. Das ist ein privater Konzern, an dem auch Softbank-Gründer Masayoshi Son beteiligt ist — aber auch US-Venture-Capital-Unternehmen wie General Atlantic, KKR oder Sequoia Capital.

Immer wieder gibt es Diskussionen, ob TikTok Inhalte löscht oder an der Verbreitung hindert, wenn diese der chinesischen Regierung nicht gefallen. Während der gelben Regenschirm-Proteste in Hong Kong beispielsweise. Eins wird weltweit deutlich: Jugendliche äußern sich politischer als viele meinen.

Indien hat die App jüngst verboten. Auch in den USA wird ein Verbot diskutiert. US-Außenminister Mike Pompeo suggerierte in einem Fernsehinterview, dass TikTok Daten der Nutzer sammele und der chinesischen Regierung zur Verfügung stelle. Ist TikTok ein als Unterhaltungsmaschine getarnter Spion, wie einige fürchten?

Was ist von der Kritik zu halten? TikTok hat schon früh Jugendschutzmaßnahmen und einen Transparenzbericht eingeführt, um auf die Kritiker zu reagieren. Auch als kürzlich herauskam, dass TikTok auslese, welche Texte Smartphone-Nutzer im Zwischenspeicher hatten, hat TikTok schnell mit einer ausführlichen Erklärung reagiert. Geht es aber um Löschanfragen aus China oder die Spionagevorwürfe, bleibt TikTok schweigsam.

Tech Briefing Reporter Richard Gutjahr hält einige Aspekte in der wichtigen Debatte um TikTok aber für verlogen. Die App sei zu einem Spielball geopolitischer Interessen geworden:
Eine App zu verbieten weil sie möglicherweise Nutzerdaten an Behörden weitergibt, während westliche Regierungen keinerlei Skrupel haben, nahezu unkontrolliert exakt das selbe zu tun, das finde ich problematisch. Ich vermute, was diesen Teil der Kritik an TikTok betrifft, vor allem wirtschaftliche Gründe. Protektionismus, ähnlich wie bei den Importzöllen. Die Amerikaner wollen ihre Vormachtstellung nicht verlieren. Nicht beim Handel mit handfesten Waren. Nicht im Mobilfunk. Stichwort: Huawaii. Und schon gar nicht bei den Internet-Plattformen wie wir es jetzt bei TikTok sehen. Wir müssen davon ausgehen, dass hier auf beiden Seiten viel Propaganda betrieben wird.
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Als Pioneer haben Sie Zugriff auf unseren TikTok Deep Dive: Lesen Sie, mit welcher Strategie TikTok zur erfolgreichsten App der Welt wurde und was die Kritiker antreibt. Die Analyse finden Sie auf thePioneer.de.
 
2. Was hinter dem großen Hack-Angriff auf Twitter steckt

Was passiert ist: Twitter-Nutzer wunderten sich am Mittwoch über seltsame Werbebotschaften, die über die Twitter-Konten von US-Politikern, Tech-Managern und Promis verbreitet wurden. Dazu gehörten Joe Biden, Barack Obama, Elon Musk, Bill Gates oder Kanye West. Die Follower wurden aufgefordert Kryptowährung wie Bitcoin oder Ripple einzuzahlen — ihnen wurde die Verdoppelung versprochen. Ein klassischer Scam. Schnell wurde klar: Hinter diesen Tweets stecken nicht die Promis, sondern Twitter erlebt den größten Hack seiner Geschichte.

Wie Twitter reagierte: In kürzester Zeit blockierte Twitter seinen Dienst für verifizierte Personen. Politiker und Promis können einen blau-weißen Haken erhalten, um ihre Echtheit zu beweisen. Außerdem löschte Twitter die von den Hackern abgesetzten Tweets. Nach einigen Stunden konnten die betroffenen Promis ihre Twitter-Konten wieder nutzen.

Twitter hat schnell und vorbildlich informiert - auch wenn die gesamten Umstände des Hack-Angriffs noch nicht klar sind. Die Untersuchung läuft noch. Was wir aber bereits wissen: Nach Angaben von Twitter haben die Hacker nicht die einzelnen Twitter-Accounts geknackt, sondern haben mit der Hilfe eines Twitter-Mitarbeiters Zugriff auf ein internes System erlangt, über das sie Zugriff auf die Promi-Accounts bekamen.

Vermutlich ist ein Twitter-Mitarbeiter Opfer von Social Engineering geworden. Dabei sammeln Hacker persönliche Informationen über ihre Opfer und täuschen deren Identität vor, um Zugriff auf fremde Computersysteme zu erhalten.

Warum der Angriff auf Twitter so heikel ist: Der finanzielle Schaden, der durch den auf Twitter verbreiteten Krypto-Betrugsversuch entstanden ist, ist das geringste Problem: Lediglich rund 121.000 US-Dollar sollen zusammengekommen sein.

Viel heikler ist Twitters Rolle in der politischen Kommunikation: Diplomaten, Politiker und Staatschefs wenden sich direkt an die Öffentlichkeit. Was passiert, wenn Hacker einen Atomschlag über einen entsprechenden Twitter-Account verbreiten? Erst ein paar Tage zuvor hat das King's College London einen Bericht mit dem Titel “Eskalation per Tweet — mit der neuen nuklearen Diplomatie umgehen” veröffentlicht (siehe PDF).

Warum der Angriff auch für Nicht-Twitter-Nutzer relevant ist: Social Engineering fallen auch immer häufiger Mitarbeiter von anderen Unternehmen zum Opfer. Finanzieller Schaden und der Verlust von Unternehmensgeheimnissen können die Folge sein.

25 Prozent der befragten Unternehmen in Deutschland geben in einer aktuellen Bitkom-Erhebung an, in den letzten beiden Jahren vermutlich von digitalem Social Engineering betroffen gewesen zu sein. 15 Prozent sind sich sogar sicher, dass sie zum Kreis der Opfer gehören.

Viele Unternehmen sind sich der Gefahren nicht bewusst und schulen ihre Mitarbeiter nur unzureichend, damit sie Social Engineering erkennen und nicht drauf reinfallen. Erschreckend oft sind in vielen Unternehmen Mitarbeiterzugänge nicht ausreichend geschützt, sodass den Hackern ein leichtes Spiel gemacht wird.

Fazit: Der Hack in dieser Woche war für Twitter ein Warnschuss. Beim nächsten Zwischenfall kann der Schaden deutlich schwerwiegender sein. Der Dienst muss diesen Fall schonungslos aufklären und Sicherheitsvorkehrungen treffen.

Der Warnschuss gilt aber auch für andere Unternehmen. Die Gefahr von Social Engineering ist real. Zugänge müssen besser geschützt und Mitarbeiter besser aufgeklärt werden.
 
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3.Facebook zwischen Werbeboykott und der Digitalisierung des Mittelstands

Mein Hörtipp: Das Tech Briefing Interview mit Facebooks Deutschland-Chef Tino Krause. Wir sprechen darüber, wie Facebook auf den Werbeboykott reagiert, warum es in Deutschland rund um die Digitalisierung des Mittelstands noch Nachholbedarf gibt und wie die Zukunft der Arbeit aussieht. Stichwort: Home Office!

Warum Facebook unter Druck steht: Prominente Unternehmen haben angekündigt, vorerst keine Werbung mehr auf den Plattformen des Unternehmens zu buchen. 900 Unternehmen haben sich der Initiative "Stop Hate for Profit" angeschlossen. Als auch Unilever die Werbung stoppte, verlor Facebook an einem Tag 56 Milliarden US-Dollar an Börsenwert. Erst das hat Mark Zuckerberg zu einem Strategiewechsel im Umgang mit Falschinformationen und Hetze veranlasst.

Der Werbeboykott ist auch bei deutschen Werbekunden ein Thema. In den letzten Wochen musste Facebooks Deutschland-Chef viele Gespräche mit Kunden führen, wie Tino Krause verriet:
Wir verdienen mit Hate-Speech und Hassrede kein Geld. Wir haben gar kein Interesse daran. Wir verstehen auch, dass Werbungtreibende ein sicheres Umfeld wollen. Klar ist aber auch: Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit. Nur weil wir etwas verbieten, heißt es nicht, dass die Themen nicht wieder auftauchen."
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Das ganze Interview mit Tino Krause hören Sie in dieser Ausgabe des Tech Briefings nach. Sie finden die Ausgabe bei Spotify, Apple Podcasts, Deezer oder direkt auf thePioneer.de.
In dem Gespräch werfen wir auch einen Blick in neue Zahlen des “Future of Business Surveys”: Seit 2017 untersucht Facebook zusammen mit der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und der Weltbank, vor welchen Herausforderungen kleine und mittelständische Unternehmen stehen.

Die aktuellen Zahlen zeigen: Jedes Dritte kleine und mittelständische Unternehmen verdient bereits einen deutlichen Anteil seiner Einnahme über digitale Kanäle - zum Beispiel Online Shopping. Im internationalen Vergleich hinken deutsche Unternehmen bei der Digitalisierung aber hinterher:
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Mittlerweile bestätigt sich: Die Auswirkungen der Corona-Pandemie treffen vor allem den Mittelstand und kleine Unternehmen.

► 65 Prozent der auf Facebook tätigen KMUs melden geringere Verkaufszahlen als im Vorjahreszeitraum.

► 20 Prozent der Unternehmen sehen sogar ihren Cashflow in den nächsten Monaten in Gefahr.

Trotzdem ist ein großer Teil der Unternehmer optimistisch:
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Jedes Unternehmen, das digitale Kanäle nutzt, ist für Facebook auch ein potentieller Werbepartner. Facebook will bis zum Jahresende 10.000 Unternehmer in Deutschland schulen (siehe Facebook), damit sie ihre digitalen Angebote auf- und ausbauen können. Die kostenlosen Trainingsprogramme fokussieren sich auf den Tourismus, Einzelhandel und die Gastronomie — Branchen, die während der Corona-Pandemie besonders betroffen waren.
 
…
Highlight der Woche: Bisher haben die Podcast-Charts von Apple die Audio-Branche geprägt. Jetzt zieht Spotify nach und bietet eigene Charts an. Neben den meistgehörten Podcasts auf der Plattform, werden auch aufstrebende Episoden und Formate empfohlen. Spotify-Nutzer können so besser neue Formate entdecken. Ein in dieser Woche angekündigter neuer Exklusiv-Podcast wird sicherlich auch ganz vorne in den Charts eine Rolle spielen: Michelle Obama wird künftig einen eigenen Interview-Podcast auf Spotify anbieten.

Lowlights der Woche: Noch immer sind die vom Staat angekündigten Start-up-Hilfen nicht ausgezahlt worden. Junge Unternehmen, die wegen der Pandemie auf Unterstützung angewiesen sind, haben von den zwei Milliarden Euro noch nichts gesehen. Wo bleibt das Geld? Die Gründerszene geht auf Spurensuche.

Newcomer der Woche: Youtuber Rezo hat ein eigenes neues Projekt gestartet. Auf Nindo.de gibt es Charts und Statistiken aus dem Social-Media-Bereich. Deutsche Influencer auf Youtube, Instagram, Twitter, Twitch und TikTok lassen sich dort identifizieren und beobachten.

Kopf der Woche: Jeff Bezos. Amazon ist jetzt 25 Jahre alt geworden. Schon zum Start geizte Bezos nicht mit Worten: Amazon präsentierte sich direkt als “das größte Buchgeschäft der Welt.” Am Jahrestag hatte Amazon einen Börsenwert von 1,4 Billionen US-Dollar.

Lesetipp der Woche: Ein Rant von Roger McNamee im Times Magazine zu den Geschäftspraktiken von Facebook. McNamee war einer der ersten Investoren von Facebook und ehemaliger Mentor von Mark Zuckerberg. Zuletzt hatte er mit “Zucked” einen Bestseller über Facebook geschrieben. In diesem kurzen und prägnanten Aufsatz bringt McNamee auf den Punkt, was bei Facebook fundamental kaputt ist. Richard Gutjahr im Tech Briefing Podcast: “Ich teile die Wut des Autors, denn wie er mag ich Facebook, Youtube, Twitter und all das, für was diese Plattformen stehen könnten, würde das Top-Management diese Netzwerke nicht sehenden Auges und ohne Not wissentlich gegen die Wand fahren.” (Zum Text)
 
Was halten Sie von der Kritik an TikTok? Schreiben Sie mir Ihr Feedback gerne an techbriefing@mediapioneer.com.

Bleiben Sie neugierig auf die digitale Welt
Ihr

Daniel Fiene
TechBriefing Host & Journalist
 
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